Essen mit Seele
Mir liegt Essen mit all seinen Facetten am Herzen. Geniessen mit allen Sinnen – ich liebe das Schneiden von buntem Gemüse, den wohlriechenden Duft und das brutzelnde Geräusch von Zwiebeln und Knoblauch beim Anbraten, das Kneten von Teig, leckeres Essen in Gesellschaft.
Mit meiner Leidenschaft fürs Organisieren, plane ich hingebungsvoll den Einkauf, recherchiere stundenlang Rezepte und verbringe endlos Zeit zwischen Einkaufsregalen auf der Suche nach neuen Produkten. Ich probiere aus, koche Neues und Bekanntes. Seit letztem Jahr backe ich Sauerteigbrot, wenn immer es die Zeit zulässt. Die wöchentliche Fütterung steht in meinem Kalender und es kommt sogar manchmal vor, dass ich mit den kleinen bakteriellen Helfern im Teig spreche.
Ob das schon immer so war?
Aufgewachsen bin ich mit Selbstversorger-Grosseltern, Obstbäumen und selbst angebautem Gemüse. Meine Mutter stand für ihr Leben gerne in der Küche – backend und kochend. Als Kind liebte ich es beim Backen zu helfen und zu probieren. Ich sass vor dem Backofen und sah dem Teig beim Aufgehen zu. Im Nachhinein betrachtend, bin ich zum Glück mit einer ausgewogenen Ernährung aufgewachsen.
Jedoch haben manche Entwicklungen eine gewisse Eigendynamik und auch die beste Kinderstube gerät ab und zu ins Wanken. Viel Arbeit, schnelles ungesundes Essen auf die Hand oder zwischendurch am Schreibtisch, in der Bahn oder im Auto – Krümel auf dem Beifahrersitz inklusive. Essen hatte ab meinem Auszug keinen besonderen Stellenwert mehr, möglichst günstig sollte es sein.
Intoleranzen und Reizdarm
Mit Anfang 20 begannen Probleme mit dem Magen und dem Darm. Viele Untersuchungen, erfolglose Allergie- und Intoleranz-Tests später, bekam ich die Diagnose Reizdarm, mit einem «psychosomatischen Stempel». Nicht gänzlich von der Hand zu weisen, denn Stress und Sorgen schlagen mir bis heute auf den Magen. Mit dem Unterschied, dass ich heute Kontakt mit meinem Körper habe und handeln kann. Jahre später landete ich verzweifelt bei einer Heilpraktikerin, die einen Bluttest durchführen liess. Das Ergebnis: vorübergehender Verzicht auf Getreide- und Milchprodukte zur Entlastung meines Darms. Eine Beratung, ausser dem Flyer zu Pseudogetreide, gab es nicht.
So ernährte ich mich ab dem Folgetag vorwiegend von gekochtem Gemüse und Rindswurst … und Gummibärchen, denn die enthalten weder Milch noch Getreide. Von Ausgewogenheit keine Spur. Mein Freundeskreis machte sich darüber lustig, dass ich überall mit eigenem Essen und Sojadrink auftauchte. Ich befasste mich immer noch nicht mit meiner Ernährung – ich hatte einen Weg gefunden, um den Verzicht auszuhalten. Ein netter Nebeneffekt war, dass ich einige Kilos verlor. Die Rückkehr zu Milchprodukten war auch nach über einem Jahr schwierig für mich: Ich wollte keine Schmerzen mehr. Die körperlichen Probleme waren tatsächlich weniger geworden.
Aber lag es nur an der Ernährung? Ich hatte mich zudem für eine Psychotherapie entschieden, um einige Dinge in meinem Leben besser zu «verdauen» – es kostete sehr viel Überwindung, «haben doch andere viel schlimmere Dinge erlebt und gehen auch nicht zur Therapie». Im Nachhinein eine der besten Entscheidungen meines Lebens und sicher der erste Schritt zur späteren Veränderung.
Getreide und Milchprodukte hatte ich wieder in meinen Speiseplan integriert – etwas behutsamer und meistens klappte es ganz gut. Heute kenne und spüre ich meine Grenzen und weiss, was es damit auf sich hat, nicht nur beim Essen.
Der Schock: Diabetes Typ 1
2015 kam für mich wie aus heiterem Himmel die Diagnose: Typ 1 Diabetes. Es hatte sich langsam angekündigt; zahlreiche Arzt-Besuche wegen starker Müdigkeit, unerklärliche Schmerzen, Sehbeschwerden. Psychosomatisch – wegen zu viel Stress im Beruf. Was sonst?
An einem Wochenende im November nahm ich von Freitag auf Montag 4 kg ab und schlief am Frühstückstisch fast ein. Ich hatte starken Durst und Mundgeruch. Eine Freundin riet mir einen Urintest in der Apotheke zu machen: Es könnte Diabetes sein. Mit dem positiven Test in der Tasche, überwies mich meine Ärztin schliesslich in die Notaufnahme.
Eine Woche Schulung im Spital, dann war ich auf mich alleine gestellt. Von einem Tag auf den anderen, war das, was ich zu mir nahm, wichtig – lebenswichtig. Zum Glück hatte ich einen Partner, Familie und Freunde, die mich in dieser Zeit unterstützen. Es dauerte einige Zeit, dann fand ich in den Alltag zurück. Die Sorge, nicht mehr so leistungsfähig zu sein, blieb zum Glück unbegründet. Dennoch – wie zuvor wurde es nicht mehr.
Ernährungschaos und Bewegungsfrust
Akribisches, digitales Ernährungsprotokoll, abmessen, abwiegen und nach Spritzschema spritzen und dennoch… bei manchen Lebensmitteln war der Blutzuckerspiegel ausser Rand und Band. Ich entschied aktiv auf bestimmte Lebensmittel zu verzichten. So wenig Einheiten wie möglich, war mein Ziel. Der Kohlenhydrat-Anteil wurde verschwindend gering. Snacken ohne Spritzen war die neue Herausforderung – Karotten, Nüsse, dunkle Schokolade und ja, Würstchen. Das klappte.
Spontane Bewegung über den Schreibtisch-Alltag hinaus wurde zur neuen Herausforderung. Essen, wenn ich satt bin und nicht mehr kann, ist für mich bis heute ein Graus. Richtige Planung ist die halbe Miete, Anpassungen der Basal-Insulinrate am Vorabend für die Bewegung am nächsten Tag. Die Spontanität leidet.
Der steinige Weg in die Schweiz
Unterkriegen lassen, war keine Option. Beobachten, ausprobieren – auch wenn ich zwischendurch genervt und frustriert war. So lernte ich nach und nach meinen Körper immer besser kennen.
Die Diagnose kam in einer Zeit, in der mein Umzug in die Schweiz zu meinem Partner geplant war. Der geplante Jobwechsel bei meinem damaligen Arbeitgeber war nicht mehr, wie zuvor zugesagt, möglich. Ich kann das Gefühlschaos nicht beschreiben, was mich in dieser Zeit beherrschte – für mich, einen sicherheitsliebenden Menschen: 30 Jahre am gleichen Wohnort, 15 Jahre beim gleichen Unternehmen, gradliniger Werdegang, mit einem stabilen sozialen Umfeld.
Viele Gespräche mit meinem Partner, viele Tränen, Zukunftsängste und Sorgen waren mein Begleiter. Bei der Jobsuche musste ich mich zum ersten Mal wirklich mit mir selbst beschäftigen. Nicht so einfach, wenn man sich sowieso in einer «Lebenskrise» befindet. Das Thema Ernährung arbeitete bereits ganz sanft im Untergrund.
Das Ergebnis war eine Kündigung ohne neuen Job, der schwerste Schritt. Doch so konnte ich die Jobsuche vor Ort in der Schweiz vertiefen. Es folgten der Umzug und der erste Job in der Schweiz, welcher inhaltlich dem bisherigen glich. Ich ging auf Nummer sicher. Ab diesem Zeitpunkt führte das eine zum anderen.
Ruhe und Genuss
In der Schweiz fand ich eine tiefe, innere Ruhe wie nie zuvor. Der Blick in die Berge, der Ruf der Milane, die Esel im Nachbarstall. Ich konnte einfach am Fenster stehen und nach draussen schauen. Natur hat mich noch nie so glücklich gemacht, wie hier. Ich entdeckte meine Leidenschaft fürs Kochen – mit einem zum Glück freudigen Esser am Tisch, der sich auf all meine Experimente einliess. Ich genoss das Loslassen von «alten Fesseln», die ich in meinem Alltag so gar nicht gespürt hatte, auch wenn ich Familie und Freunde aus der alten Heimat bis heute oft sehr vermisse.
Ich begann wieder in die Berge zu gehen – langsam mit Planung und viel testen, messen und schauen, was körperlich möglich war. Heute gehe ich sogar wieder auf Klettersteige.
Change Management
Im neuen Job war es chaotisch, Change Management vom Feinsten. Zum Glück hatte ich viele tolle Arbeitskollegen, die mir den Einstand erleichterten. Ich befasste mich zum ersten Mal mit meiner Veränderung und gönnte mir ein Life Coaching. Ich startete ein Online-Studium als Fachberaterin für holistische Gesundheit und schaute mich in der Schweiz nach Ausbildungen im Bereich Ernährung um. Schnell war klar, der Ansatz von Ernährung und Psychologie ist der richtige für mich.
Doch final anmelden mochte ich mich noch nicht. Mein Partner befand sich beruflich ebenso im Wandel, so entschlossen wir, beide auf Ende des Jahres zu kündigen und uns den Traum vom Urlaub in Neuseeland zu erfüllen. Ohne Job, ohne finale Entscheidung – Freiheit wie nie zuvor. Wir zehren noch heute von den Erinnerungen.
Start ins neue Leben
In den Ferien fiel der Bauchentscheid für die Ausbildung. Die Anmeldung am IKP in Zürich reichte ich nach meiner Rückkehr ein – Start im Mai. Ansonsten stand ich ohne Job da. Beim zweiten Mal fiel es zwar leichter, aber Absagen auf Bewerbungen zerrten immer noch an meinem Selbstwertgefühl. Ich hatte mich entschieden eine 60% Stelle anzunehmen, um meinen Traum von einem zweiten Standbein Raum zu geben. Manchmal verliess mich die Hoffnung. Doch dann klappte es mit der Teilzeitstelle – genügend Freiraum für Ausbildung und persönliche Entwicklung – ein Luxus, für den ich sehr dankbar bin.
Ernährungs-Psychologie macht den Unterschied
Seit dem Start der Ausbildung zur Ernährungs-Psychologischen Beraterin habe ich vieles gelernt; in der Schulmedizin, über Ernährung und Psychologie. Nicht nur in der Theorie, sondern in der Selbsterfahrung. Denn alles, was wir mit unseren Klienten durchführen, erarbeiten wir auch selbst – mit Dozenten, in der Gruppe, in der Lehrtherapie.
Ich lerne unglaublich tolle Menschen kennen, einzigartige Persönlichkeiten, die mein Leben bereichern. Ich koche weiter, ich lese und berate. Zum ersten Mal in meinem Leben macht Lernen Spass. Es packt mich und der Bücherstapel wird immer höher. Mein Herz ist bei der Sache und es fühlt sich richtig an.
Mein Ernährungs-Weg ist noch lange nicht zu Ende und ich freue mich auf jede neue Erfahrung.